333,02 Kilometer
1163 Höhenmeter
in 17 Stunden
Engagierte Fahrradfahrer pflegen ihre Fahrradkette mit wetterabhängigem Kettenschmiermittel. So genanntes „Dry Lube“ ist speziell auf trockene Tage bzw. Untergründe ausgelegt, und vermindert die Schmutzansammlungen an den Kettengliedern. Bei den ausgeprägten Vorbereitungen auf eine ca. 340km lange Bikepacking-Sommertour im Juli 2022 durch den Süden Dänemarks also die perfekte Wahl.
Dachten wir.
Zuvor – 2021, die erste (Test-)Reise
„Ich wollte mal mit’m Fahrrad in meine Heimat fahren, willste mit?“
„Klar“
So oder so ähnlich begann die Planung für unsere erste Bikepacking Tour. Von Hannover nach Worpswede (Campingplatz Land of Green), Bremerhaven, und zurück. Alle Utensilien am Fahrrad, Lebensmittel werden mitgeführt oder eingekauft und selbst zubereitet.
Die Bikes
Für die Reise haben Sascha und ich uns dazu entschieden, jeder ein auf schnelles Bikepacking ausgelegtes Gravel-Bike zu kaufen. Dazu sei gesagt, dass wir beide Fahrrad-Junkies sind. Wie bei allen Fahrrädern gibt es selbst innerhalb eines Segmentes deutliche Unterschiede pro Hersteller und Modell in Bezug auf Sitzposition, Montagemöglichkeiten und mehr. Ohne zu tief ins Details zu gehen, habe ich mich für ein sportliches, aber dennoch reisetaugliches Gravelbike entschieden, welches viele Montagepunkte für fest-montierte Taschenhalter – z. B. drei Ösen pro Gabelseite – hat. Da wir beide gerne trotz Gepäck den sportlichen Charakter und das schnelle Fahren nicht verlieren wollten, haben sich alle Entscheidungen bewährt. Dies ist auch der hipstereske Grundgedanke am Bikepacking: Alles irgendwie am Bike mit teuren Taschen anbringen und ab geht’s. Der Übergang zum klassischen Tourenrad ist fliessend. An meinem Fahrrad habe ich z.B. einen klassischen Gepäckträger angebracht. Sieht zugegebenermaßen etwas unsportlich aus, aber die großen Seitentaschen sind einfach sehr praktisch.
Das Equipment
Als Zelt haben wir uns beide nach langer Recherche für das Elixir 1 des Herstellers MSR entschieden. Ein Einpersonen-Zelt mit kleinem Vorraum und vielen Netzen als Ablage im Schlafbereich. Gerade der kleine Vorraum ist bei regnerischem Wetter Gold Wert, seine Sachen vor Nässe zu schützen. Dazu später mehr. Weiter ist es sehr einfach und schnell auf und wieder abgebaut und mit einem entsprechend breiten Lenker passt es genau zwischen den Unterlenker.
Die Packliste war bereits bei der ersten Reise lang, aber wenn man sich vor Augen hält, dass man im weitesten Sinne alles am Fahrrad hat, was man zum Leben benötigt (neben dem Einkauf von Lebensmitteln), ist diese Unabhängigkeit großartig.
Powerbank, um nachts das Handy oder Navigationsgerät zu laden, Ersatzschlauch und Mini-Tool für die notwendigsten Fahrradreparaturen, Zeckenschlinge, Stirnlampe, Taschenmesser, Feuerzeug, Gaskocher, Besteck, Sonnen- und Zahncreme, Medikamente und Regenkleidung sind nur wenige Beispiele der recht langen Packliste.
Land of Green
Auch wenn ein Baumzelt deutlich kälter als gedacht war, hat die erste Tour 2021 sehr gut geklappt. Leider hatte ich zwei Platten, sodass wir auf der Rückfahrt von Bremerhaven nach Worpswede zweimal an der Landstraße den Schlauch auswechseln mussten. Ärgerlich, aber kein großes Hindernis, wenn man zwei Ersatzschläuche eingepackt hat :).
Die Verpflegung unterwegs war ebenfalls reibungslos, Energieriegel und mit Elektrolyten angereichertes Wasser haben den Motor am Laufen gehalten. Auf der Strecke haben wir im Discounter Nudeln, Oliven, Tomatensoße, Thunfisch und Snacks gekauft und im Lager auf dem Gaskocher zubereitet.
Die Route der Hin- als auch Rücktour habe ich 2021 bereits mit Komoot geplant und während der Fahrt mit dem Handy navigiert – hierzu später mehr.
Der süden Dänemarks
Nachdem uns beiden die Tour an die Nordsee so unendlich viel Spaß gemacht hatte, stand bereits hier fest, dass wir 2022 wieder auf die Straße gehen. Etwas größer (Süd-Dänemark), etwas weiter (ca. 340 KM), und noch unabhängiger (nur Shelter, keine Zeltplätze).
Der Plan
Während in Deutschland das Wildcampen verboten ist, besteht in Schweden in Form des „Jedermannsrecht“ genau das Gegenteil. Dänemark ist hier nicht nur geografisch in der Mitte. Überall im Land gibt es unzählige, sogenannte Shelter. In der Regel kostenlos und ohne Reservierung nutzbare Holzhütten mit Feuerstellen, Plumpsklos und anderen Ausstattungsmerkmalen. Mal mehr mal weniger gut zu finden, organisiert in der gleichnamigen App. Da wir „eh“ im Zelt schlafen wollten, bestand selbst für die Variante, dass alle Hütten belegt sein sollten, keine Gefahr. „Im Nichts“ gibt es keine Straßen oder Hausnummern, also mussten wir auf die GPS-Koordinaten zurückgreifen. Gerade die letzten 800 Meter waren bei unserem ersten Shelter recht tricky, was nach 130 Kilometern, Abends um 22:30 kurz vor Sonnenuntergang bei recht schlechter Stimmung (wir sind beide sehr sehr kaputt gewesen) etwas anstrengend war.
Hier ein Bild von unserem ersten Übernachtungspunkt:
Die Route habe ich wie folgt geplant: Mit dem Auto nach Flensburg, an der Ostsee bis auf Höhe Kolding, übernächtigen, von der Ostsee an die Nordsee, zelten, und von der Nordsee wieder zurück nach Flensburg. Das Ganze in der wundervollen App „Komoot“. Navigiert haben wir diesmal nicht mehr dem Smartphone sondern dem Wahoo Elemnt Bolt V2. Ein für meine Anwendungsfälle geniales Gerät.
Bei der Kilometeranzahl pro Etappe (130, 90, 110) kann man bereits erahnen: Der Weg ist das Ziel. Pausen werden nur sehr selten und meistens mit Grund gemacht (Toilette oder Essen).
Die erste Etappe
05:45: Wecker klingelt. Auto ist vorgepackt. Schneller Kaffee.
06:30: Ankunft bei Sascha, Fahrrad und Taschen zuladen
07:15: Abfahrt
11:00: Ankunft in Flensburg, Nebenstraße im Wohngebiet
12:30: Die Fahrräder sind montiert, alle vorher lange geplant und gepackten Taschen sind angebracht und die Fahrradkleidung angezogen. Motivationslevel: Hoch.
12:40: Wind und Regen. Erster Halt im Wald nach 10 Minuten Fahrt. Motivationslevel: Mittel.
Schnell die Regenkleidung (Überzieher für die Schuhe, Regenhose, Regenjacke) angezogen, Motivation mit einem Snickers (später mehr) erhöht, und ab in Richtung Grenze.
Exkurs: Der Endgegner der Radreisenden: Regen und die Organisation.
Als Radreisende müsst ihr vieles beachten: Wo plane ich Verpflegungspunkte auf meiner 130 km Etappe ein, damit ich immer ausreichend Essen und Trinken habe? Sollte es längere Strecken ohne diese Möglichkeit geben: Habe ich ausreichend Reserven in den Taschen, um „auf Vorrat“ zu kaufen? Der Platz am Fahrrad ist begrenzt. Kleidung hat man bestenfalls für jede Wetterlage, aber aufgrund des Platzmangels und Gewichts alles nur einmal. Das bedeutet: Ist das Fahrradtrikot oder die normale Polsterhose nass, ist sie nass. Klingt banal, ist aber essenziell. Hätten wir uns nicht sofort umgezogen, wären meine Füße und Socken innerhalb von Sekunden nass gewesen. Und, mit nassen Füßen möchte niemand 130 Kilometer Fahrradfahren. Hinzu kommt: Was nass ist, bleibt in der Regel nass: Pech gehabt. Du hast die Socken als Notlösung für die Nacht im Zelt gegen kalte Temperaturen eingeplant? Doppelt Pech gehabt.
Also: Immer das Wetter im Blick haben, in einer Tagesetappe von 7 Stunden ändert sich das Wetter gerade in Dänemark stündlich. Regenklamotten in eine extra-Tasche, oder zumindest sofort griffbereit halten.
Nachdem wir uns rasch umgezogen haben, ging es weiter in Richtung Grenze. Die Kontrolle war für Fahrradfahrer nicht vorhanden und somit bremste uns nur die Selfie-Geilheit.
Generell war die östliche Seite des Südens Dänemarks überraschend hügelig. Knapp 900 Höhenmeter sind nicht extrem viel, aber auch nicht wenig. Wir durften jeden Gang unserer Fahrräder ausreichend nutzen. Landschaftlich sehr vielseitig hatten wir ebenfalls das Glück, auf einem Teil der dritten Tour-de-France Etappe zu fahren, welche dieses Jahr in Kopenhagen gestartet ist.
Da wir erst gegen Mittag losgefahren sind, kamen wir immer mehr in Zeitnot, die 130 Kilometer rechtzeitig zu schaffen. Das Zelt im dunkeln aufzubauen macht keinen Spaß und sollte vermieden werden. Es wurde immer später, die Sonne ging immer weiter unter und wir hatten noch nicht eingekauft. Irgendwann gegen 20:45 kamen wir endlich in Kolding an und wollten schnell unser Abendessen einkaufen. Die Stimmung war bereits relativ weit unten.
Die „Berge“, unser Tempo und die 120 Kilometer haben uns zugesetzt. Und, wir hatten Glück. Auf unsere Frage in bestem Schulenglisch an einen Einheimischen, wo wir etwas einkaufen könnten, wurde uns der Weg zum Supermarkt gewiesen. Dieser hatte bei Ankunft noch genau 10 Minuten geöffnet. Unser Einkauf beschränkte sich daher auf Nudeln, Ketchup, Wasser, Softdrinks und Schokoriegel.
Alles irgendwie auf die Fahrräder verteilt, ging es nach kurzer Diskussion, ob wir vom Plan abweichen und nicht mehr die 10 Kilometer zum Shelter fahren, weiter in Richtung der geplanten Koordinaten.
Minuten vor Sonnenuntergang sind wir dann nach sehr anstrengender Suche komplett im Eimer am Shelter mitten im Nichts angekommen und konnten unsere Zelte in Rekordzeit kurz vor Sonnenuntergang aufbauen. Die Stimmung war ab dann wieder grandios 🙂
Im dunkeln wurde dann noch der Gaskocher angeworfen und köstliche Nudeln mit Ketchup serviert. Zum Nachtisch gab es alkoholfreies Bier und ein paar Chips.
Völlig im Arsch sind wir anschließend in unsere Zelte gefallen.
Teil 2 folgt.
Bonus:
Ihr erinnert Euch an mein Schmiermittel auf der Fahrradkette für trockene Verhältnisse? Das Beste an diesem Mittel ist, dass es bei Regen innerhalb von Sekunden heruntergespült wird. Ich durfte also die ersten 110 Kilometer dieser Etappe mit einer sehr lautstark quietschenden Kette durch Dänemark fahren, bevor wir einen Fahrradladen mit vernüftigem Kettenöl für jedes Wetter gefunden haben.